Ist euch schon mal aufgefallen, wie herzlos und brutal wir Spieler
eigentlich sind? Da werden Könige gemeuchelt, Ritter getötet,
Soldaten auf dem Schlachtfeld niedergemetzelt, Cowboys und Indianer
erschossen, bedauernswerte Wesen mit Schwertern niedergestreckt, etc.
Und machen wir uns irgendwelche Gedanken darüber, plagen uns auch
nur ansatzweise Gewissensbisse? Mitnichten! Selbst beim harmlosen
Schach kalkulieren wir Bauernopfer ein. Und wenn bei
"Risiko"-Gefechten Zigtausende Gefallene zu beklagen
wären, bezeichnen wir mit einem gleichgültigen Achselzucken die
Verluste zynisch als "Kollateralschaden" und ärgern uns
höchstens über eine verlorene Stellung. Mir kommen angesichts
dieser menschenverachtenden Einstellung dem Tod gegenüber langsam
Zweifel am als "Kulturgut" gehandelten Spiel.
Gott sei Dank geht es auch anders! Beim neuesten Spiel aus dem Hause
"Pegasus" wird beim Ableben einer Spielfigur ihrem Wirken
während ihres (Spiele-)Lebens gedacht. Die Aufnahme in die
Dorfchronik ist dabei besonders erstrebenswert, da dies wertvolle
Siegpunkte verspricht. Während bei anderen Spielen auf welche Weise
auch immer verstorbene Spielfiguren in die Anonymität der
Spieleschachtel verschwinden, gilt es bei "Village" - so der
Titel des Spiels - ganz im Gegenteil, seinen Figuren rechtzeitig einen
möglichst würdevollen Abschied zu bereiten.
Doch zuerst einmal steht das Leben im Mittelpunkt, mit all seinen
vielfältigen Möglichkeiten. Auf das Wesentliche konzentriert
ist "Village" nämlich ein "worker placement
game". Dies bedeutet, dass unsere Dorfbewohner im Laufe einer
Runde, manchmal aber auch für deutlich länger, gewissen
Tätigkeiten des Dorflebens zugeteilt werden. Die Bereiche
dafür finden sich farblich hervorgehoben auf dem großen
Spielplan wieder. Auf jeden dieser Bereiche werden zu Beginn jeder Runde
eine bestimmte Anzahl an Holzwürfelchen gelegt, welche zufällig
aus einem Leinenbeutel gezogen werden. Die Anzahl der in einem Bereich
vorhandenen Würfel gibt vor, wie oft die damit verbundene Aktion in
einer Runde genutzt werden darf.
Die Würfel stellen übrigens keine unterschiedlichen Rohstoffe
dar, sondern stehen für Eigenschaften wie Können (orange),
Überzeugungskraft (grün), Glaube (braun) und Wissen (rosa).
Bei der Wahl eines Holzwürfels wird daher stets auch die weitere
Verwendung in Betracht gezogen. Die schwarzen Würfel sind
sogenannte "Peststeine", welche eher Nachteile bringen und man
deshalb meist nur dann nimmt, wenn es absolut notwendig ist.
Wer an der Reihe ist, nimmt zuerst einen Holzwürfel vom Plan und
darf anschließend eine entsprechende Aktion durchführen.
Bereiche, in denen sich kein Würfel mehr befindet, stehen folglich
(normalerweise) nicht mehr zur Verfügung. Eine Runde endet, sobald
auf diese Weise der letzte Würfel genommen und somit die letzte
Aktion durchgeführt wurde. Für die nächste Runde werden
alle Bereiche wieder aus dem Leinenbeutel bestückt. Das Spiel geht
über so viele Runden, bis eine der beiden Bedingungen zum Spielende
(Genaueres dazu später) erfüllt ist.
Nun aber zu den verschiedenen Aktionen. Da ist zuerst einmal die
Getreideernte. Dafür muss sich bloß mindestens eine
Spielfigur auf dem Hof befinden, dann können zwei Getreidesäcke
geerntet werden. Dieser Ertrag kann mit dem Besitz eines Pfluges sowie
einem Pferd oder eines Ochsen auf bis zu 4 Getreidesäcke gesteigert
werden, allerdings beträgt die maximale Lagerkapazität 5
Säcke.
Nächster wichtiger Bereich des Lebens ist das Handwerk. In
Handwerksbetrieben kann man an Güter wie Planwägen (Wagnerei),
Ochsen und Pferde (Ställe), Schriftrollen (Schreibstube) und
Pflüge (Schmiede) gelangen. Dabei gibt es zwei unterschiedliche
Möglichkeiten. Entweder man erwirbt ein Gut, indem man dafür
mit bestimmten Holzwürfeln bzw. Getreide "bezahlt". Oder
aber man stellt ein Gut selbst her, indem man zuerst ein Familienmitglied
in einem Handwerksgebäude ausbilden lässt, und
anschließend ohne weitere Kosten das entsprechende Gut erzeugen
kann. Dies ist sogar noch in Folge möglich, solange ein Handwerker
in einem Handwerksbetrieb arbeitet.
Nachdem die Familie jedes Spielers anfangs gerade mal aus vier
Familienmitgliedern besteht, spielt die Aktion Familie, bei der ein
Spieler eine neue Spielfigur erhält, natürlich eine wichtige
Rolle. Die Spielfiguren sind übrigens mit Ziffern versehen. Nur
die Figuren mit der Zahl "1" sind schon von Beginn an im Spiel.
Erwartet die Familie Nachwuchs, wird stets die Spielfigur mit der
kleinstmöglichen Zahl aus dem Vorrat genommen.
Alle bisherigen Aktionen sind sicher wichtig für den Fortbestand
einer Familie. Doch als Handwerker, Familienvater und Bauer steigert man
nicht unbedingt das Ansehen im Dorfe, weshalb es für ambitionierte
Familienmitglieder noch beliebtere Betätigungsfelder gibt. Zum
Beispiel die Politik. Wer etwas auf sich hält, schickt seine
Söhne und Töchter in die Ratsstube, um dort Einfluss
auszuüben. Mit ausreichend Überzeugungskraft (grüne
Würfel) schafft man es in immer einflussreichere Bereiche und kann
immer bessere Boni (Startspieler-Marker, Holzwürferl, Siegpunkte,
etc.) einstreifen.
Aber auch die Kirche bietet schöne Aufstiegschancen. Wer dort
Karriere machen will, muss allerdings etwas auf göttliche Hilfe
hoffen. Ein Familienmitglied wird nämlich nicht sofort im Klerus
aufgenommen. Am Ende der Runde werden zufällig vier Figuren aus
einem Beutel gezogen, wobei da auch neutrale Figuren auftauchen
können. Nur eine kleine Spende kann eine direkte Aufnahme
garantieren. In Folge sind noch teils großzügige
Getreidelieferungen nötig, um in der kirchlichen Hierarchie
aufzusteigen.
Doch nicht nur im Dorf selbst kann man sich Ruhm und Ansehen erwerben.
Wie heißt es so schön: "Wenn einer eine Reise tut, dann
kann er was erzählen." Die Erfahrungen und Erlebnisse eines
Reisenden lassen ihn unvergessen werden und finden sogar in der
Dorfchronik Einzug. Erforderlich dafür sind ein Planwagen für
jede Etappe seiner Reise, sowie je nach Etappe ausreichend Wissen,
Können und/oder Glaube.
Fehlt nur mehr eine erfolgversprechende Tätigkeit im Dorf,
nämlich als Kaufmann am Markt. Ein Markttag wird zwar im Normalfall
nur einmal pro Runde ausgerufen, dafür ist dieser öffentlich,
sodass jede Familie die Möglichkeit hat, ihre Güter am
Marktstand an den Kunden zu bringen. Die Nachfrage nach bestimmten
Gütern wird dabei durch Kundenplättchen geregelt.
Voraussetzung für einen geschickten Kaufmann ist selbstredend eine
gewisse Überzeugungskraft.
Diese vier verschiedenen Lebenswege - als Geistlicher, Dorfpolitiker,
Reisender oder Kaufmann - bringen die für den Spielsieg notwendigen
Siegpunkte. Dabei gibt es unterschiedliche Berechnungen. In der Kirche
und in der Ratsstube erhält man für jede Spielfigur Punkte. Je
mehr ein Familienmitglied Karriere gemacht hat, umso höher
fällt die Punkteausbeute aus. Ein Kaufmann erhält für
jedes erfüllte Kundenplättchen die darauf angegebenen Punkte
gutgeschrieben. Hier gilt: Je wertvoller die geforderten Güter,
desto höher die Punkte. Auf Reisen hingegen gibt es eine progressiv
ansteigende Punktezahl für besuchte Städte. Während man
für nur eine besuchte Stadt gerade mal einen mickrigen Punkt
einheimst, werden richtige Weltenbummler, welche in allen sechs
Städten gewesen sind, mit stolzen 18 Punkten belohnt. Wer
schlussendlich - auf welche Weise auch immer - den Ruhm seiner Familie am
meisten mehren konnte, gewinnt das Spiel.
Jetzt aber - endlich! - zur eingangs erwähnten Betrachtung über
den Tod. Ein wichtiger Aspekt des Spiels ist nämlich der Faktor
"Zeit." Fast jede Aktion verbraucht nämlich Lebenszeit:
Die Lehrzeit in einem Handwerksbetrieb, die Herstellung eines Gutes, die
Amtsgeschäfte in der Ratsstube, die Verkäufe am Markttag, die
Bewegung auf dem Reiseplan, das Nehmen eines Peststeins, etc. Für
jedes angegebene Sanduhr-Symbol muss der Marker auf der Lebenszeitleiste
des Hofplans um ein Feld vorwärtsgerückt werden.
Überschreitet der Marker dabei die Brücke, segnet eine
Spielfigur das Zeitliche. Man wählt dafür eine seiner
ältesten Figuren (erkennbar an der niedrigsten im Spiel befindlichen
Zahl), die man sterben lässt. Befindet sich für die Figur noch
Platz in der Dorfchronik, wird die Figur in den entsprechenden Bereich
gelegt, ansonsten kommt sie in ein noch freies anonymes Grab am Friedhof.
Zwar kann die Figur dort auch in Frieden ruhen, bringt aber keinen
weiteren Vorteil. Figuren in der Dorfchronik können hingegen -
abhängig von ihrer Anzahl - am Spielende noch für
zusätzliche Ruhmespunkte sorgen. Dorfchronik und Friedhof sind auch
für das Spielende verantwortlich, denn wenn in einem dieser Orte der
letzte freie Platz belegt wird, endet das Spiel nach Ende der
Spielrunde.
Es ist dieses ungewöhnliche Figurenmanagement, welches den
großen Spielreiz und die erfrischende Originalität von
"Village" ausmacht. In vielen anderen Spielen kommt es
bloß darauf an, möglichst viele Spielfiguren zu besitzen, um
viele Aktionen durchführen zu können. Hier allerdings muss man
nicht nur eine Strategie für den Familienerfolg verfolgen (es
empfiehlt sich, sich auf zwei bis höchstens drei Bereiche zu
konzentrieren), sondern auch das taktisch geschickte Ableben seiner
Figuren im Auge behalten. Timing ist dabei alles, da kann es durchaus
schon mal vorkommen, dass man den Alterungsprozess gezielt beschleunigt,
um noch schnell vor einem Mitspieler einen bestimmten Platz in der
Dorfchronik ergattern zu können. Thema und Spielablauf bilden hier
eine absolut runde Einheit, sodass es nicht verwundert, dass
"Village" in unserem Spieleklub - und nicht nur dort! - so gut
ankommt. "Village" ist meiner Meinung nach eines der besten
anspruchsvollen Spiele der letzten Jahre.
Franky Bayer
Bewertung: 5 Schilde


 
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