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Knobelritters Spielearchiv - Helvetica

Art des Spiels: Aufbau- und Entwicklungsspiel
Spieleautor:    Matthias Cramer
Verlag:         Kosmos Spiele
Jahrgang:       2011
Spielerzahl:    2 bis 4 Spieler
Alter:          ab 12 Jahren
Dauer:          60 bis 90 Minuten
Preis:          ca. € 35,-

Zielgruppe:     Spielexperten ++

Die Schweizer sind ein komisches Völkchen, davon konnte ich mich während meines einjährigen Aufenthalts in der Eidgenossenschaft persönlich überzeugen. Wehrhaft ja, pünktlich auch, präzise sowieso, unabhängig, neutral, konservativ, dies alles trifft natürlich schon zu. Aber eben auch seltsam. Und als ob es eines weiteren Beweises dafür bedürfte, erschien jetzt bei Kosmos ein Spiel, das noch ein paar sonderliche Dinge über unsere westlichen (bzw. südlichen) Nachbarn verrät.

"Helvetia" versetzt uns in die Schweiz zu Beginn des 19. Jahrhunderts, wo wir als Ortsvorsteher die Geschicke eines abseits gelegenen Dorfes lenken. Unser Dorf besteht anfangs aus gerade mal einem Dorfplatz, umgeben von drei einfachen Gebäuden, in denen Grundprodukte des dörflichen Lebens hergestellt werden können: Baustoffe, wie Holz (Holzfäller), Stein (Steinmetz) und Ziegel (Ziegelei), sowie Grundnahrungsmittel, wie Wasser (Brunnenmeister) und Getreide (Getreidehof). Natürlich bedarf es dazu auch der Dorfbewohner, von denen wir zu Beginn über sechs Personen - 3 Frauen und 3 Männer - verfügen. Die Hälfte davon wird benötigt, um die drei eigenen Gebäude zu betreiben, von den restlichen Personen wird eine in die Schule gesteckt, eine anderen harrt in der Dorfmitte ihrer weiteren Bestimmung und die letzte wird in ein Nachbardorf "verheiratet".

Der Alltag im Dörfli wird durch fünf verschiedene Aktionen geregelt, die von fünf Persönlichkeiten durchgeführt werden. So ist der Baumeister für den Bau neuer Gebäude zuständig. Wer eines oder mehrere der zur Verfügung stehenden Gebäude errichten will, legt pro Gebäude eine Aktionsmünze zum Baumeister, produziert die benötigten Güter (fehlendes Stein, Holz oder Ziegel darf dabei für je 1 zusätzliche Münze zugekauft werden), und legt das oder die neuen Häuser um seine Dorfmitte aus.

Der Fuhrmann ist dafür verantwortlich, Güter zum Markt zu liefern. Pro Münze bringt er ein Gut zur nächsten großen Stadt. Jeder Spieler darf jedes Gut genau 1 Mal im Spiel liefern. Dieses wird anschließend auf dem Spielplan mit einem Lieferstein der eigenen Farbe markiert, welcher 1 Siegpunkt zählt. Zudem winken dem ersten Spieler, dem es gelingt, komplexere Güter oder gar komplette Produktionszweige zu liefern, Sondersiegpunkte in Form von Plättchen.

Das Leben in den Bergen ist hart und so verwundert es nicht, dass ein Bewohner nach der Herstellung eines Gutes müde ist und schlafen geht, was durch das Hinlegen der entsprechenden Spielfigur sichtlich gemacht wird. Um einen schlafenden Bewohner zu wecken, benötigt man die Hilfe des Nachtwächters. Pro Münze sucht dieser ein komplettes Viertel in einem beliebigen Dorf auf. Alle schlafenden Bewohner dieses Viertels werden dadurch aufgeweckt und aufgerichtet, wodurch sie in Folge wieder für die Produktion zur Verfügung stehen.

Die letzten beiden Persönlichkeiten betreffen nicht die wirtschaftliche Leistung unseres Dorfes, sondern die sozialen Kontakte. Den Pfarrer nutzen wir, um unsere ungebundenen Dorfbewohner in fremden Dörfer unter die Haube zu bekommen. Pro eingesetzter Münze können wir einen Bewohner aus unserer Dorfmitte oder aus der Schule in ein fremdes Gebäude mit einem Dorfbewohner des anderen Geschlechts setzen. Auf diese Weise können daraufhin auch die betroffenen Produktionsgebäude der Mitspieler genutzt werden.

Die Hebamme ist schließlich dafür zuständig, dass es mit unserem Nachwuchs klappt. Pro eingesetzter Münze kann ein Paar in unserem Dorf ein Kind bekommen. Dazu wird eine neue Spielfigur seitlich so zu ihren Eltern gestellt, dass der Aufkleber "Kind" auf der Unterseite sichtbar wird.

Wer an der Reihe ist, darf beliebig viele Münzen für Aktionen einsetzen, allerdings nur bei einer Persönlichkeit. Dies geht reihum so lange, bis nur mehr ein Spieler Münzen übrig hat, welcher dadurch Startspieler der nächsten Runde wird. Zum Rundenende werden dann die Münzen wieder zurückgenommen. Schulkinder beenden ihre Schulzeit und kehren in ihr Dorf zurück, wo sie in freie Gebäude einziehen, während der neue Nachwuchs die Schulbank drücken muss. Schließlich wird noch der aktuelle Siegpunktestand ermittelt. Wenn noch kein Spieler 20 oder mehr Punkte erreicht, werden 5 neue Gebäude von Stapel aufgedeckt und die nächste Runde beginnt, ansonsten gewinnt der Spieler mit den meisten Punkten.

"Helvetia" kann man im Großen und Ganzen als ein "worker placement game" betrachten. Es sind zwar keine "Arbeiterfiguren", die man an irgendeinem Ort einsetzt, um davon einen Nutzen zu haben, aber die Wahl der Persönlichkeiten mit seinen Aktionsmünzen erfüllt ähnliche Kriterien. Auch hier erfordert es Timing und Planung, um möglichst viele Vorteile zu erzielen. Die Funktionen der Persönlichkeiten haben vereinfacht ausgedrückt mit Figurenmanagement zu tun: Zuordnung, Nutzung, Vermehrung, Reaktivierung.

Ein wesentlicher Unterschied zu den üblichen Arbeitereinsetzspielen besteht aber darin, dass es möglich ist, mehrere Aktionsmünzen auf einmal einzusetzen, um eine Aktion öfters durchführen zu können. Zusammen mit dem Umstand, dass die Spieler über unterschiedlich viele Münzen verfügen können, ergibt dies manchmal sehr ungleiche Spielrunden. Im Extremfall kann es passieren, dass ein Spieler in einer Runde gar nicht an die Reihe kommt. Dies wird aber immerhin dadurch ausgeglichen, dass er die nächste Runde beginnt.

Das Einsetzen mehrerer Münzen für eine Aktion kann aber auch aus einem anderen Grund bewusst gewählt werden. Am Ende einer Runde erhält nämlich bei jeder Persönlichkeit jener Spieler, der dort die meisten Münzen platziert hat, das dazugehörige Personenplättchen. Dieses erlaubt in der folgenden Runde einmalig eine entsprechende Zusatzaktion. Sie gilt selbst dann, wenn für den normalen Spielzug eine andere Persönlichkeit gewählt wurde. Eine Option, die man gut und gerne annimmt.

Die eigentliche Rohstoffproduktion ist originell gelöst. Es gibt keine Ressourcenwürfel, -marker oder -plättchen wie in den meisten Spielen. Die Herstellung erfolgt rein virtuell, indem die erzeugende Figur einfach hingelegt wird. Es gibt daher auch keine Möglichkeit, Rohstoffe zu lagern und für spätere Verwendung anzusparen, alles erfolgt rein bedarfsorientiert. Bei einfachen Gütern läuft dies noch relativ verständlich ab, so muss etwa zur Beschaffung von Wasser nur der Brunnenmeister beschäftigt werden. Komplizierter wird es allerdings bei aufwändigeren Waren. Um beispielweise Butter zu produzieren, muss zuerst Getreide am Getreidehof erzeugt werden, welche dann der Bauer im Kuhstall für die Aufzucht von Kühen verwendet, damit die Molkerei schließlich Milch für die Butter bekommt. Diese Art der Produktionsketten ist schon im Spiel "Neuland" (Eggert Spiele) aufgetaucht, in einem Spiel für eine größere Käuferschicht habe ich dies jedoch noch nicht angetroffen. Es ist weniger nachvollziehbar und nicht so intuitiv zu handhaben als das Hantieren mit "echten" Rohstoffen. Auch erfahrene Spieler finden es gewöhnungsbedürftig und anfangs fehleranfällig.

Trotz des Fehlens von Rohstoffen findet man noch reichlich Spielmaterial in der Schachtel. Besonders auffällig sind dabei die Spielfiguren. Mit einfachen Mitteln wird ihr Zustand dargestellt: Steht eine Figur aufrecht, ist sie wach und bereit für ihre Tätigkeit. Schlafen wird durch Hinlegen erkenntlich gemacht, als Kind wird eine Figur seitlich gekippt aufgestellt. Trotz dieser originellen Funktion sind die Spielfiguren suboptimal gelungen, denn Männer und Frauen unterscheiden sich in Größe und Form nur minimal, wodurch sie nur bei genauem Hinschauen gut unterscheidbar sind. Der Verlag hat darauf allerdings schon reagiert und für die männlichen Figuren schwarze Hut-Aufkleber bereitgestellt.

Die grafische Gestaltung gefällt mir ganz gut, doch auch hier gibt es Anlass zur Kritik. Die karge Farbwahl der Plättchen - viele Brauntöne! - ist zwar der Atmosphäre der gewählten Zeitepoche geschuldet, doch lassen sich dadurch nur bei ausreichender Beleuchtung die Rohstoff-Symbole leicht unterscheiden. Auch können die Symbole auf den Gebäudekarten durch die großen Spielfiguren abgedeckt werden, was der Übersicht hinderlich ist und ebenfalls den Spielfluss hemmt. Das Schachtelcover ziert ein großes weißes Kreuz auf rotem Hintergrund mit einer Abbildung des Matterhorns. Diese extrem reduzierte Grafik trifft nicht jedermanns Geschmack, hebt sich aber mit Sicherheit von anderen Neuheiten im Spieleregal ab, worauf es ja schließlich auch ankommt.

Nun aber zu meiner eingangs geäußerten Meinung über das "seltsame" Schweizer Volk. Die Komik entsteht - mehr oder weniger freiwillig - durch die Personifizierung der Spielfiguren. Alle Abläufe sind natürlich spielmechanisch logisch und gut gelöst, doch ergeben sich im Detail recht sonderbar anmutende Verknüpfungen. Dass es nur heterosexuelle Beziehungen gibt, und die Scheidungsrate gleich null ist, finde ich für die damalige Zeit ganz passend. Futuristisch wirkt hingegen die absolute Geburtenkontrolle, dass also die Spieler das Geschlecht eines Kindes - Zwillinge sind nicht vorgesehen - selbst entscheiden können. Etwas archaisch wiederum erscheint die Möglichkeit, Kinder frisch aus der Schule zu verehelichen. Und eine genauere Nachverfolgung, wessen Kinder wen heiraten, brächte sicher ein paar Inzuchtfälle zum Vorschein.

In unseren Runden sorgten aber vor allem die schlafenden Bürger für Gelächter. Dass zum Kinderzeugen nicht beide Partner wach sein müssen, ist ja noch verständlich, man spricht nicht umsonst von "Beischlaf" ;-). Aber im Dörfli finden einige Bewohner beim Aufwachen plötzlich einen Ehering am Finger (ich kenne einige Paare, bei denen dies durchaus so passiert sein könnte...). Im Laufe einer Partie verbringen außerdem einige Personen mehr Zeit im Bett als in der Arbeit. Dies alles trägt aber zur Auflockerung eines sonst eher taktisch geprägten Spiels bei.

Abschließend muss ich sagen, dass mir "Helvetia" gut gefällt. Es besitzt einige originelle, ja innovative Elemente. Die Heirat und das Nutzen fremder Gebäude sorgt zudem für ein bisschen Interaktion zwischen den Spielern. Durch die erforderliche Planungs- und Optimierungsarbeit richtet es sich aber hauptsächlich an Vielspieler, die mit "Helvetia" dafür aber sehr gut bedient werden. Ein Spiel, das mich wahrscheinlich noch öfters ins Schweizer Dorfleben mit seinen seltsamen Gebräuchen verführen wird...

Franky Bayer

Bewertung: 4 Schilde